Blog 2019
Herbert Joos 12.3. 1940 – 6.12. 2019
Für immer verstummt.
Ein persönlicher Nachruf.
1979 gab es im Wiener Art Orchester (später dann Vienna Art Orchestra) einen größeren Besetzungswechsel. Ich wollte weg vom Aktionismus und hin zur Musik. So stießen u.a. kurzfristig der Vibraphonist Werner Pirchner und der Gitarrist Harry Pepl zu uns. In Walter Richard Langers monatlicher TV-Sendung Bourbon Street entdeckte ich kurz hintereinander die amerikanische Vokalistin Lauren Newton und den Stuttgarter Trompeter und Flügelhornspieler Herbert Joos. In beiden Fällen war mir sofort klar: an den zweien führt kein Weg vorbei und das werden zwei wichtige Stimmen in dem damals noch sehr jungen Orchester werden. Herbert war der Älteste, Erfahrenste und am weitesten Gereiste, wir alle liebten seinen großen, warmen, mit viel Luft getränkten Sound – den niemand besser zelebrieren konnte als er - seine ausgelassene Spielfreude und sein unkonventionelles Wesen. Wir hatten als eingeschworenes Team beschlossen, die Welt zu erobern, was uns auch tatsächlich gelang. Mit Herbert an vorderster Front – mal abgesehen von Wolfgang Puschnig, Harry Sokal, Roman Schwaller oder Christian Radovan, spielten wir hunderte von Konzerten in Europa, ja sogar in Asien, Afrika. Und auf einer ausgedehnten US-Tour auch in achtzehn amerikanischen Städten. Als „Überflieger der 80-Jahre“ waren wir in den meisten Jazzpolls an erster Stelle gereiht und bekamen jede Menge von Preisen. Wir feierten eine rauschende Party und hatten noch keine Ahnung von Computern, dem Downloadzeitalter und dem Altern.
Herbert hatte ich 1980 ein Alphorn geschenkt, das aus zolltechnischen Gründen bis zur deutschen Grenze versiegelt war. Erst dort durfte er mitten auf unserer ersten großen Tournee - damals noch mit dem Reisebus, um zwei Uhr in der Früh sein Alphorn auspacken, um den verdutzten Grenzbeamten aus dem Nichts heraus ein virtuoses Ständchen zu spielen, ohne dieses Instrument vorher jemals angerührt zu haben.
Am liebsten schrieb oder arrangierte ich für Herbert Balladen, weil da sein großer Klang und seine von uns allen heiß geliebte „Luft“ am besten zur Geltung kam. So etwa in Blue in Green von Miles Davis für Streichorchester oder in Round Midnight von Thelonious Monk, in Panta Rhei, Back To Nothing, oder in Quelques petits Moments, über das er sich mit dem Harmon-Mute spielerisch drübergelegt hat; alle fünf Stücke übrigens mit der NDR-Big Band und dem NDR - Symphonieorchester.
Beim Vienna Art Choir spielt er seine wunderbaren herzzerreißenden Melodien über das Schweizer Volkslied Es git kein sölige Stamme. Im H.M. Blues, einer Komposition des thailändischen Königs Bhumibol Adulyade, der in Wien Klarinette studiert hatte, und die wir im Rahmen unseres Konzertes in Bangkok für ihn spielen mussten, läuft Herbert zur Hochform auf. Übrigens hatte der Royal Court Composer nach dem Konzert zu mir gemeint: “You can’t change the chords of the King!”. In Plädoyer For Sir Major Moll kann Herbert nochmals all seine Schattierungen ausspielen, und in Herzogstrasse 4 – an dieser Adresse in Stuttgart wohnte der eingefleischte Junggeselle beinahe lebenslang, meistert er elf Minuten lang bravourös alle Herausforderungen und duelliert er sich am Schluss noch mit Wolfgang Puschnig, in perfekter “Art Orchester-Ästhetik” der 80er-Jahre.
Ganz besonders mag ich Uli Scherers Ballade le XVIII catalan, weil es dort (wie auch in den meisten restlichen Stücken) besonders schöne, oft auch ganz freie Dialoge zwischen Uli und Herbert gibt.
“Herbertle”, wie er liebevoll genannt wurde, war genau achtzehn Jahre lang (von 1979 bis 1997) und auf gleich vielen Alben mit dabei als Solist, Inspirator und Motivator. Und daneben war er federführend in seiner heiß geliebten “Pocket-Ausgabe “ des VAO, in der Formation Part of Art mit Wolfgang Puschnig, Uli Scherer, Jürgen Wuchner und Wolfgang Reisinger.
Tragischerweise lebt nun keiner mehr von der VAO-Trumpetsection der späten 80er/frühen 90er Jahre. Marathonläufer Hannes Kottek starb 1994 völlig unerwartet mit sechsunddreissig an Leukämie. Der damalige italienische Posaunist Danilo Terenzi starb ein Jahr darauf, ebenfalls unerwartet - zwischen zwei Tourneen, mit neununddreissig an Lungenkrebs. Und Bumi Fian verließ uns 2006 mit sechsundvierzig Jahren infolge seines Alkoholkonsums. Ich war leider damals auch kein gutes Beispiel punkto Gesundheit. Wir fühlten uns alle jung, unverletzlich, unsterblich und dachten, uns könne nie etwas passieren.
Herbert war aber nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern ein ebenso guter Graphiker und Illustrator. Drei eindrückliche, von Phono Books herausgegebene Bildbände, zeugen davon: einer über Chet Baker, der zweite über Billie Holiday und der dritte über Miles Davis. Herbert hatte mir großzügigerweise alle drei, die unterdessen mehr als vergriffen sind, geschenkt.
Lieber Herbert, Du warst überzeugter Europäer, als Musiker und als Mensch. Du hattest Deinen eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt, unabhängig von allem und allen anderen.
Wir “Wiener” denken an Dich..
mathias rüegg, 7.12.2019
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